Buchhändler in Kairo Ein lebensgefährlicher Job
Edouard Lambelet, Inhaber der berühmten deutschen Buchhandlung Lehnert & Landrock in Kairo, hat die jüngste Gewalteskalation in der Stadt aus nächster Nähe erlebt. Einzelheiten von Holger Heimann Kairo kommt nicht zur Ruhe, Gewalt und Unsicherheit bleiben allgegenwärtig. Die Zahl der Toten steigt mit jedem Tag. Den brutalsten Straßenschlachten in seiner Heimatstadt konnte Lambelet entkommen. Der Buchhändler ist noch vor den Kämpfen zwischen der Armee und den Anhängern der Muslimbrüder in die Schweiz abgereist, seine andere Heimat, und von dort weiter in die USA, wo seine Tochter lebt. Eine Flucht war es nicht, die Fahrt schon länger geplant. Der 76-Jährige hat die Eskalation nicht vorhergesehen. Mit der Machtübernahme durch die Armee schien sich zuletzt Vieles in Kairo zum Bessern zu wenden, der Stillstand im Land endlich beendet. Doch dann kam alles anders: Kairo erlebt die schlimmsten Auseinandersetzungen seit der Revolution.
"Die deutsche Buchhandlung" im Herzen Kairos
Internationales Sortiment seit 90 Jahren: die Buchhandlung Lehnert & Landrock im Zentrum Kairos
Die Buchhandlung mit dem markanten Schriftzug über dem Eingang gibt es in Kairo seit fast 100 Jahren. Der wichtigste Ort für internationale Bücher in Kairo wird aber zumeist einfach "Die deutsche Buchhandlung" genannt – und das "obwohl sie von einem Schweizer geführt wird", fügt Lambelet lachend hinzu. In der Schweiz hat der promovierte Geologe seine Kindheit und Jugend verlebt. In Kairo aber ist er geboren und 1979 in das von seinem Vater Kurt Lambelet betriebene Geschäft eingestiegen. Die Ursprünge der Buchhandlung reichen noch eine Generation weiter zurück: 1924 gründen zwei Deutsche, der Orientfotograf Rudolf Franz Lehnert und der Buchhalter Ernst Heinrich Landrock, das Unternehmen vor allem mit dem Ziel, die Bilder Lehnerts, Aufnahmen aus Nordafrika, zu vertreiben. Kurz nach Ausbruch des Zweiten Weltkriegs übernimmt der Stiefsohn von Landrock, eben jener Kurt Lambelet, das Geschäft und baut es nach 1950 zu einer großen Buchhandlung aus.
Goldene Zeiten und jäher Verfall Zu den besten Zeiten beschäftigte Lehnert & Landrock 35 Angestellte. Neben der Buchhandlung unweit vom Tahrir-Platz gab es eine Filiale im Ägyptischen Museum, geleitet von Edouard Lambelets Frau Roswitha, einer gebürtigen Heidelbergerin. Geblieben sind 15 Angestellte im großen verwinkelten Hauptgeschäft. Von einer Galerie mit den in der gesamten islamischen Welt bekannten Porträtfotos Lehnerts schaut man hinab auf das umfangreiche Sortiment aus Reiseführern, Belletristik, Kochbüchern sowie Fachliteratur für Studenten. Neben Deutsch dominieren Englisch und Französisch.
Doch seit der Regierungszeit der Muslimbrüder geht es mit der Traditionsbuchhanldung rapide bergab. "Die Muslimbrüder haben ein Jahr lang regiert. Während dieser Zeit ist die Arbeitslosigkeit rasant gestiegen, das Land hat seine Devisenreserven eingebüßt. Wir hatten bis viermal am Tag für jeweils eine Stunde keinen Strom", ärgert sich Lambelet. Fachliche Kompetenz sei zweitrangig gewesen, entscheidend nur die Zugehörigkeit zur Bruderschaft. Lambelet gibt sich keinen Illusionen hin: "In der Politik finden sich im Allgemeinen keine integren Leute, nirgends auf der Welt, nicht einmal in der Schweiz."
Erschreckende Stille
Warten auf friedlichere Zeiten: Angesichts der anhaltenden Gewalt am Nil kehrte Edouard Lambelet seiner Buchhandlung den Rücken und lebt mittlerweile in den USA.
Zwischen den Regalen bewegen sich kaum noch Kunden. Für Geschäftsleute wie Lambelet waren die letzten Monate eine Katastrophe: Aufgrund der angespannten Lage kommen kaum noch Touristen in die Stadt. Die deutsche Regierung hat zuletzt von Reisen nach Ägypten ganz abgeraten. Die Kairoer selbst meiden die Buchhandlung. Es ist offenbar nicht die richtige Zeit, um Bücher zu lesen.
"Es gibt Tage, wo nicht ein einziger Kunde das Geschäft betritt. Die Leute haben Angst, ins Stadtzentrum zu kommen. Und wir sind nun mal im Stadtzentrum", beklagt Lambelet. "Ägypten war früher eines der sichersten Länder“, erinnert er sich. "Man fühlte sich sicherer als in Europa oder Amerika. Das ist jetzt vorbei.“ Während der Revolution vor zwei Jahren habe die Mubarak-Regierung über 20.000 Kriminelle aus den Gefängnissen entlassen, die seitdem das Land verunsicherten. Zweimal schon sei seine Frau auf offener Straße überfallen und ausgeraubt worden.
Finstere und helle Zeiten Lambelet betrachtet die Lage des Landes mit großer Trauer: "Ägypten hat immer wieder Kriege und Auseinandersetzungen erlebt. Seit der Revolution von 1952 reden wir darüber, das Land zu verlassen. Aber nach jeder dunklen Zeit hat es sich wieder erhellt. Die dunklen Zeiten waren kurz, die schönen Zeiten wesentlich länger." Zum ersten Mal ist das nun anders. Der Mann, der drei Viertel seines Lebens in Ägypten verbracht hat, von der Herzlichkeit der Menschen dort schwärmt, die nahe Wüste liebt, schließt nicht mehr aus, die Buchhandlung ganz aufzugeben oder sie seinen Mitarbeitern zu übertragen: "Wenn sich die Situation nicht bessert oder gar syrische Verhältnisse drohen, dann hat es keinen Sinn für uns, in Kairo zu bleiben."
Noch ist das Land nicht in einen Bürgerkrieg abgerutscht. Die Stimmung unter den Angestellten der Buchhandlung, allesamt Ägypter, ist trotzdem denkbar schlecht. Es gehört zur Tradition der Buchhandlung, dass die Mitarbeiter ein kleines Grundgehalt bekommen, dafür aber am Umsatz beteiligt werden. Da die Umsätze dramatisch gefallen sind, gibt es jedoch kein zusätzliches Geld. "Meine Angestellten haben große Mühe, überhaupt am Leben zu bleiben", sagt Edouard Lambelet, der momentan von den USA aus die Geschicke seines Geschäfts leitet. "Aber mehr kann ich nicht zahlen, es ist einfach nichts in der Kasse."
Holger Heimann © Deutsche Welle 2013 Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de